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Gestein kultiviert
Installation in Zusammenarbeit mit Karla Elisabeth Günther,
Park an der Ilm Weimar, Juni/Juli 2006

Travertin und Weimar

Zum Wesen des Menschen gehört das Streben nach festen Werten - nach verlässlichen und sichernden Grundlagen. Diese Sehnsucht nach Bestand äußert sich in der abendländischen Kultur sowohl im der zwiespältigen Verhältnis zur „wilden“ bestandszerstörenden Natur, als auch im erhaltenden Umgang mit kulturgeschichtlichen Errungenschaften - unserem kulturellen Selbstverständnis. Der städtische Raum, gerade in Weimar, ist überfüllt mit Kulturdenkmälern. Sie sind Symbolen für unsere kulturelle Identität. Der Mensch pflegt seine Bauten und versucht sie so lange wie möglich im gleichen Zustand zu erhalten - bilden sie doch eben nicht nur unsere persönliche Heimat, sondern auch Leitbilder des dauerhaften Bestehens aus ferner Vergangenheit bis weit in die Zukunft hinein. Wir identifizieren uns mit Sesshaftigkeit und Dauerhaftigkeit. Wir halten uns selbst daran fest. Jede Veränderung die nicht etwas „Höheres“ und Zivilisierteres verspricht wird zumindest versuchsweise aufgehalten und unterbunden. Der größte „Feind“ einer Kulturstadt sind Wandel und Verfall sowie der damit verbundene Wert- und Bedeutungsverlust.
Doch steht diese typisch menschliche Haltung im Gegensatz zu den natürlichen Prinzipien des Wandels in den Kreisläufen des Lebens. In der Natur ist nichts von Dauer. Allgegenwärtig ist allein ihre allumfassende Dynamik die nichts im selben Zustand belässt. Dieser bedeutende Wiederspruch zwischen menschlichem Festhalten an den Bestand (oder besser and das Bestehenswerte) und der unaufhaltsamen natürlichen Um- und Verwandlung verursacht essentielle Fragen in unserem Selbstverständnis. Warum können wir den Verfall nicht als naturgegeben annehmen? Was zeigt das Klammern am Bestand über unser eigenes natürliches Selbstverständnis? Was bedeutet unser ständiges Scheitern? Die westliche Kultur scheint diesbezüglich auf naturfremden Grundvorstellungen zu basieren. Die Angst vor dem Einsturz dieses Weltgerüstes prägt dabei viele Vorgehensweisen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Viele Bauten der deutschen Kulturhauptstadt Weimar bestehen aus Travertin. Dieses Gestein ist seit prähistorischen Zeiten (u.a. durch fossile Nachweise des Homo erectus) untrennbar mit dem gegenwärtigen Stadtgebiet verbunden. Bauten der Weimarer Klassik, des Bauhauses und auch der Nationalsozialisten enthalten Travertin und bis zum heutigen Tag wird in Weimar-Ehringsdorf in Steinbrüchen dieses Quellsediment als Werkstoff abgebaut. Wenn es ein Gestein gibt das mit Weimar zu identifizieren ist, so kann es nur der Travertin sein.

Gestein kultiviert

Travertin kommt im Park an der Ilm in natürlichen Lagerstätten vor. Bei der Gestaltung des Parks an der Ilm wurde er u.a. zur Errichtung künstlicher Felsen (insbesondere im Bereich der Weißen Brücke) und bei der Formung der Parkhöhle verwendet. In beiden Fällen wurde ein illusorisches Bild einer idealen Naturidylle geschaffen – ein Bild das uns bis heute prägt.
Doch was ist zu tun wenn der vertraute Fels Weimars plötzlich seine verlässliche Sicherheit verliert? Wenn ein tonnenschwerer Steinblock droht auf dem Wasser der llm fortgespült zu werden? Abgetragen von jener natürlichen Kraft des Wassers, die das dynamische Wesen der Natur in seiner Essenz verkörpert?
Wir müssen ihn anketten und fest verankern damit nicht all unsere geordnete Welt mit ihm hinfort gespült wird! Der Natur muss Einhalt geboten werden. Um jeden Preis!
Die Gestalt der Arbeit „Gestein kultiviert“ versucht den Wiederspruch von menschlicher Haltung und natürlicher Kraft an zu versinnbildlichen. Ein schwimmender (künstlicher) Travertin-Block, angekettet an einen standhaften Pflock in den Fluten des Flusses Ilm - als Irritation im Gewohnten. Eine Sicherungskette bindet losgelösten Fels an einen Pfosten aus Angst vor Bedeutungsverlust. Eine Sisyphosarbeit mitten im Fluss.