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Kreis
Salzinstallation
Weimar 2005

Der Kreis ist ein Urbild des Lebens.
Er symbolisiert ein geschlossenes System. Nichts darin geht verloren - alles ist Teil von einander.
Der Kreis ist Sinnbild aller Bewegung. Jedes Element in ihm bedingt das andere - wandelt sich im ständigen Fluss. Einzig sein Zentrum ruht in allgegenwärtiger Gewissheit.

„Kreis“ bestand aus weißem Salz gemischt mit Ultramarinpigment. Salz ist heute ein alltägliches „Streugut“ in der westlichen Kultur. Es besteht aus transparenten, seidig glänzenden Kristallen. Diese entstehen durch die geometrische Anordnung von Natrium- und Chloridionen. Wissenschaftliche Erkenntnisse weisen Salz als lebensnotwendigen Transportstoff unseres Organismus aus. Ohne Salz kein Leben - und im Winter taut es überfrorene Straßen und Wege auf.
Salz ist auch die Lebensgrundlage vieler Himalajavölker, doch nicht allein aufgrund seiner chemischen Eigenschaften. Der Handel mit diesem kristallinen Gut prägt ihre Lebensweise seit Hunderten von Jahren. Ihr Salz stammt aus den Ebenen nördlich des höchsten Gebirges der Erde. Mit diesem Handelsgut ertauschen sich die Nomaden überlebensnotwendige Grundnahrungsmittel bei den südlichen Bauern. Dafür transportieren sie Salz auf den Rücken ihrer Karawanen über die höchsten Pässe der Erde. Bis heute.
Ein Mandala (skrt. „Kreis, Gebiet“) ist ein konzentrisch-zyklisches Systembild. Es veranschaulicht universell natürliche und kosmische Prinzipien. In den Kulturen des Himalayas werden seit jahrtausenden Mandalas als Roll- oder Sandbilder angefertigt – meist für den kultisch mystischen Gebrauch aber auch zur verständlichen Veranschaulichung komplexer Zusammenhänge. Der meditative Prozess der Erschaffung eines solchen Bildes wird dabei als entscheidender Inhalt angesehen. So auch die fünftägige Entstehungsphase dieser „Kreis“-Arbeit aus Salz.
Die Gestaltung eines solchen Bildes hält sich an vorher klar definierte Vorgaben. Das Motiv dieses Kreises war die zyklische Darstellung des Wasserkreislaufes in der Natur - in der Bildsprache der Himalayavölker. Vom Fall des Regens aus den Wolken, über den Weg durch die lebendigen Geschöpfe - bis hin zur erneuten Verschmelzung im Ozean. Der Kreis selbst steht dabei für die dynamischen Zusammenhängen und deren zugrunde liegenden Prinzipien. Er wird dabei selbst mit Bewegung assoziiert. Seine ringförmigen Bereiche verdeutlichen Barrieren und Übergänge auf dem Weg zur in sich ruhenden Mitte.
Sand-Mandalas werden von buddhistischen Mönchen, Schamanen und Laien zu besonderen Anlässen in oft tagelanger Arbeit gestreut. Doch nur wenige Stunden nach der Fertigstellung wird das fragile Bild rituell zerstört. Dabei kehrt in Sekunden der kunstvoll erhabene Eindruck des Bildes wieder in sein substantielles Materialgemisch zurück. Der mühevolle Weg zur Perfektion findet seine Vollendung im Akt der Vergänglichkeit. Der Prozess eines solchen Bildes gleicht einer Reise.
Die „Kreis“-Arbeit stand auch für eine Reise. In ihrer Präsenz verkörperte sie sowohl die verschiedenen Bedeutungen des Salzes in einander fremden Kulturen, als auch die Ferne zwischen deren verschiedenen Blickwinkeln – der Ferne zwischen dem Eigenen und Fremden.
Angeregt durch den Gesamtkontext dieser Arbeit wurden geringe Mengen des zerstörten Kreis-Bildes an verschiedenen Orten der Welt dem Wasser übergeben, so unter anderem auch dem pazifischen Ozean, der Ostsee, dem Tilicho-See (dem auf 5000m höchstgelegensten See der Erde im Himalaya) und auch meinem eigenen Körper.